
Marie war zehn Jahre alt und träumte oft davon, Tierärztin zu werden. Sie liebte es, zu zeichnen und Ponys zu spielen – und seit Kurzem verbrachte sie viel Zeit in einer Spiele-App, in der man virtuelle Pferde züchten konnte. Dort lernte sie jemanden kennen, der sich „SunnyBoy13“ nannte. Er war nett, hörte ihr zu und schrieb, dass sie besonders und wunderschön sei.
Zuerst freute sich Marie. Endlich jemand, der sie verstand. SunnyBoy13 machte Komplimente, fragte nach Fotos – „nur eins mit deinem Lieblingsoutfit, bitte 🥺“. Marie schickte es, obwohl sie sich unwohl fühlte. Doch er war beleidigt, wenn sie nicht sofort antwortete. Er schrieb Dinge wie: „Ich dachte, du bist meine Freundin.“ Oder: „Wenn du jemandem von uns erzählst, passiert etwas Schlimmes.“
Marie begann, sich zu verändern. Sie zog sich zurück, wurde stiller. In der Schule konnte sie sich nicht mehr konzentrieren. Sie hatte oft Bauchschmerzen und log, um sich zurückzuziehen. Ihre Eltern merkten, dass etwas nicht stimmte – aber Marie schwieg. Sie hatte Angst, Ärger zu bekommen. Und noch mehr Angst vor dem, was SunnyBoy13 angedeutet hatte.
Die Nächte wurden schlimm. Marie träumte schlecht. Ihr Herz klopfte, wenn sie ihr Handy nur ansah. Sie fühlte sich schmutzig, obwohl sie nichts falsch gemacht hatte. Die Angst wurde ein Schatten, der sie begleitete – in der Schule, beim Essen, sogar beim Spielen mit Lilli. Der Chat war zu einem Gefängnis geworden.
Erst als sie eines Tages weinend in ihrem Zimmer zusammenbrach, fand ihre Mutter das Handy und die Chatverläufe. Maries Eltern waren geschockt – aber nicht wütend. Ihre Mama nahm sie in den Arm und sagte: „Du bist nicht schuld. Du wurdest getäuscht. Und wir sind jetzt da.“
Marie kam zur Beratung. Eine Therapeutin half ihr, das Erlebte zu verarbeiten. Langsam lernte sie, dass ihr Schweigen keine Schwäche war – sondern ein Schutz gewesen war, den sie gebraucht hatte. Und dass sie jederzeit wieder reden durfte, wenn sie bereit war.
„Maries Mission: Kein Kind soll im Netz allein bleiben.“
Anmerkung für Eltern und Pädagog*innen:
Wenn Kinder sich zurückziehen, verändert wirken oder ohne ersichtlichen Grund Angst zeigen, kann das ein Warnsignal sein. Cybergrooming verursacht oft Scham, Schuldgefühle und Isolation. Offene Gespräche, Vertrauen ohne Vorwürfe und psychologische Unterstützung sind essenziell, um betroffene Kinder zu schützen und zu stärken.